Ich antwortete ausführlich und merkte, dass mich mein Gegenüber verständnislos anschaute. Dann wurde mir klar, dass ich auf die Frage geantwortet hatte «wie vermehren sich Muscheln?».
Aber um diese Frage zu stellen, muss man bereits einiges über Muscheln wissen. Beispielsweise, dass Muscheln Tiere sind, dass sie im Wasser leben und dass das, was da am Strand liegt, nur noch die vom Tier übriggebliebenen leblosen Schalen sind.
Die Frage drehte sich also vielmehr darum, woher denn die Muschelschalen am Strand kommen, und was genau eine Muschel ist. Ich versuche das in diesem Blogartikel zu beantworten:
Wenn du über einen Strand wanderst, findest du laufend Schalen oder Schalenbruchstücke von Muscheln und von Schnecken. Bleiben wir zunächst bei den Muscheln: Die Schale ist das Skelett der Muschel, es ist ein äusseres, also ein Exo-Skelett.
leere Schale einer Herzmuschel
Die Schale ist ein lebloser Teil der Muschel, so ähnlich wie unser Haar oder der äussere Panzer einer Schildkröte. Sie besteht aus Kalk und ist auf der Innenseite meist wunderbar glatt und schön. Die innerste Schicht der Muschelschale heisst auch Perlmuttschicht. Perlmutt ist glatt und schillert oft bunt. Bei Perlaustern entsteht hier die Perle.
Im Inneren der Muschelschale liegt der eigentliche Muschelkörper, der sehr weich und zerbrechlich ist; deshalb gehören Schnecken und Muscheln auch zum Tierstamm der sogenannten Weichtiere. Ihre Weichteile enthalten fast alles, was wir auch von uns kennen. Die Muscheln wirken zwar etwas einfach gebaut, aber das ist ein Trugschluss: Dieses Tier hat einen Mund, einen Darm, Blut, Atmungsorgane, ein Herz, Nieren, Leber, Sinnesorgane, Nervenbahnen, Geschlechtsorgane, ... alles vorhanden.
Eine Pilgermuschel am Strand hat sich geöffnet. Man sieht den dicken Schliessmuskel und am oberen Schalenrand die perlenförmigen Augen.
Den äusseren Teil des weichen Muschelkörpers nennt man Mantel. Der Mantel umhüllt eigentlich den gesamten Muschelkörper und schützt ihn. Den fleischigen Mantel sieht man bei einer lebenden Muschel dann, wenn sie sich leicht öffnet. Dann kommen auch zwei Öffnungen zum Vorschein, die Siphone. Je nach Muschel können die Siphone winzig klein oder aber mehrere Zentimeter lang sein, dann sehen sie aus wie Schläuche. Über den einen Siphon saugt die Muschel frisches Meerwasser an, um es über die Kiemen zu leiten. So atmet eine Muschel.
Die Ein- und Ausströmöffnungen einer Herzmuschel: Siphone
Die Muschel filtriert mit den Kiemen aber auch Nahrungspartikel aus dem Atemwasser. Das sind meist winzig kleine Planktonlebewesen. Diese bleiben in dem Kiemen hängen und werden dann gefressen. Das geht einfach, weil der Mund hier mitten zwischen den Kiemen liegt. Das gefilterte und veratmete Wasser wird durch den zweiten Siphon wieder ausgestossen. Muscheln, die im Meeresboden eingegraben leben – und das sind sehr viele Arten – haben meist sehr lange Siphone: die ragen dann wie Schnorchel nach oben, und zwar so weit, dass sie über den Sand des Meeresbodens gucken. So saugt die Muschel keinen Sand ein…
Eine Muschel ist eigentlich ein Filterapparat!
Muscheln haben auch ein Herz mit Haupt- und zwei Vorkammern. Lustigerweise durchquert der Darm die Hauptkammer! Das Blutgefässsystem ist offen, das heisst, das Blut zirkuliert streckenweise nicht in Venen oder Arterien sondern offen zwischen den Organen und Zellen.
Muschelschalen bestehen aus Kalk, der im Meerwasser reichlich in gelöster Form vorhanden ist. Den baut die Muschel in ihre Schale ein. Der Aufbau der Schale erfolgt immer am sogenannten Mantelrand, eines drei-faltigen Organs, das mehrere Funktionen hat: es bildet die Schale, es trägt Sinnesorgane wie Augen oder Geschmacks- und Geruchsrezeptoren und es dichtet das Innere der Schale ab. Fast wie eine Silikondichtung...
Die riesige Ottermuschel (ca 15 Zentimeter) mit ihren ebenso gigantischen Siphonen. Der Fuss liegt auf der gegenüberliegenden Seite.
Eine leere Schale einer Ottermuschel. Sie schliesst nicht ganz, damit immer genug Platz für die grossen ausstreckbaren Siphone vorhanden ist.
Muscheln haben immer zwei Schalen, eine linke und eine rechte. Bei den meisten Arten sind linke und rechte Schale sehr ähnlich wie beispielsweise bei der Miesmuschel, bei anderen Arten wie den Pilgermuscheln oder den Austern sind die beiden Schalen unterschiedlich in Form und/oder Grösse. Bei allen Muscheln sind die Schalen mit einem elastischen Band und einem verzahnten Scharnier, dem Schloss, miteinander verbunden; im Inneren ziehen starke Muskeln die beiden Schalen zusammen. So kann sich eine Muschel – je nach Art teilweise oder vollständig – von der Aussenwelt abschotten. Das hilft gegen Feinde oder gegen Austrocknung bei Ebbe.
Wenn du nun eine Muschelschale am Strand findest, dann erzählt dies eine kleine Geschichte: Lebende Muscheln stecken meist im Meeresboden. Sterben sie oder werden sie gefressen, dann können sie sich nicht mehr eingraben; Meeresströmungen oder die Brandung verfrachten ihre leer gefressenen Schalen an den Strand.
Roxy übersieht eine kleine Herzmuschel, die sich nicht rechtzeitig vor der Ebbe eingraben konnte. Ein Angebot für Meeresvögel.
Bei an den Strand angespülten Muschelschalen findest du manchmal kreisrunde kleine Löcher (ca 1-3 Millimeter im Durchmesser). Diese Löcher stammen von räuberischen Schnecken – manchmal auch von Tintenfischen – erzeugt, welche die Muschelschale mit Speichelsäure aufweichen. Dann bohren sie sie mit ihrer Raspelzunge auf und fressen die Weichteile.
Im Meer leben rund 8000 Muschel-Arten, dazu kommen noch etwa 1500-2000 Arten im Süsswasser. Es gibt also eine enorme Vielfalt an Formen, Grössen und Farben bei Muscheln.
In Farbe, Form und Beschaffenheit sind die Schalen aber auch der einzelnen Arten sehr unterschiedlich. Es gibt weisse und stachlige ebenso wie längliche, schwarze und glatte Schalen.
Die Schalenform der Muscheln hat mit ihrer jeweiligen Lebensweise zu tun. Das sieht man bei genauerem Hinsehen gut:
Muscheln aus unterschiedlichen Verwandtschaften besitzen oft ähnliche Lebensweisen und Schalenformen. Dies nennt man Konvergenz.
Da Schalenform und Lebensweise zusammenhängen, kann man auch an der Form fossiler Muscheln - die es heute nicht mehr gibt - die Lebensweise und ihre Lebensräumen rekonstruieren.
Diese Muschel heisst «Sägezähnchen». Manchmal werden ihre Schalen in Massen an den Strand geworfen. Es gibt sie in vielen verschiedenen Farben.
Muscheln leben entweder an Felsen festgewachsen wie Miesmuscheln oder Austern, sie liegen auf dem Meeresgrund wie die Pilgermuscheln oder graben sich – wie die meisten Arten – im Meeresgrund ein. Muscheln bewegen sich meist nicht weit vom Fleck. Aber die meisten können sich sehr wohl fortbewegen, meistens in den Untergrund hinein.
Wie die verwandten Schnecken haben auch Muscheln einen muskulösen «Fuss». Der sieht aus wie ein Keil oder wie eine lang ausgestreckte Zunge. Mit dem Fuss können sich Muscheln ausgezeichnet in den Bodengrund einbuddeln, indem sie den Fuss wie einen Spaten in den lockeren Sand schieben und ihn danach zusammenziehen. So wird der Fuss dicker und verankert ihn im Boden. Danach zieht die Muschel den Fuss ein und zieht sich so nach unten in den Sand. Das passiert meist mit ruckartigen Bewegungen.
Schnecken sind verwandt mit den Muscheln.
Das perfekt gewundene Häuschen einer Kreiselschnecke. Schnecken haben EINE Schale, Muscheln deren ZWEI.
Alle Muscheln haben eine Schale. Auch viele Schnecken haben eine Schale. Aber es gibt klare Unterschiede: Schnecken haben nur eine Schale, und Schnecken sind zwar meistens im «Schneckentempo» unterwegs, aber trotzdem können sie vergleichsweise weite Wanderungen auf der Kriechsohle ihres Fusses machen. Schnecken haben Augen und bessere Sinnesorgane als Muscheln. Muscheln bewegen sich nur wenig vom Fleck und haben meist keine Augen. Aber es gibt Ausnahmen.
Eine wunderschöne Nabelschnecke auf dem bretonischen Sandwatt.
Das ist ganz einfach: Schneckenschalen sind meist spiralig gewunden. Ausserdem haben Schnecken nur eine Schale. Muscheln haben immer zwei Schalen. Grosse tropische Schneckenschalen werden oft als «Muscheln» bezeichnet, was natürlich falsch ist. Aber: wie entstehen Muscheln?
Auch ein Muschelbaby hat bereits eine Schale!
Wie entsteht eine Muschel, oder vielmehr die Muschelschale? Wenn du eine Muschelschale am Strand findest, dann schau sie dir einmal ganz genau an. Du erkennst Rillen , die ähnlich wie bei Baumringen das jahreszeitliche Wachstum abbilden. Mit etwas Übung findest du bei fast jeder Muschel heraus, wie alt sie ist. Du brauchst nur die schmaleren Rillen zu zählen; die entstehen im Winter, wenn die Schale wegen der tiefen Temperaturen kaum wächst. Bei tropischen Muscheln ist das etwas schwieriger, da dort das Meer immer etwa gleich warm und die Muschel immer gleich schnell wächst.
Wie alt könnte diese Trogmuschel wohl sein? Die Farbbänder zeigen es an...
(vermutlich 3.5 Jahre)
Bereits als Larve hat die Muschel übrigens eine winzige Schale. Oft ist dieses erste Schälchen ansatzweise noch bei Erwachsenen zu sehen, nämlich am Wirbel. Der Wirbel der Muschelschale ist der Ort, wo die ganzen Zuwachsringe zusammenstossen. Die erste Schale wächst am Rand laufend weiter. Das Wachstum erfolgt immer vom Wirbel weg nach aussen. So ergibt sich das typische exzentrische Ringmuster der Muschelschalen.
Lies mehr zum Thema: «Wie vermehren sich Muscheln?».
Bald schreibe ich einen Artikel zum Thema «Sand».
19 Kommentare
Ich habe eine brennende 🔥 Frage! Wie alt kann der Kalk, welcher in der Muschelschale ist, sein??? Würde mich wirklich interessieren!
LG,
deine Muschelenthusiasten aus Zürich
Der Kalk ist genau so alt wie die Muschel selbst. Der Kalk wird laufend aus dem Meerwasser extrahiert und sofort in die Muschelschale eingebaut. Wenn die Muschel stirbt beginnt der Abbau der Schale; der Kalk löst sich langsam wieder im Meerwasser.
So einfach!
Lg TJ
Muscheln und Schnecken können ziemlich viele Farben produzieren. Es handelt sich dabei um Pigmente wie Karotinoide, Melanine, Tetrapyrrole, Porphyrine etc… damit lassen sich die meisten Rot-, Gelb- und Grautöne erzeugen. Die Farbe wird beim Wachstum am Schalenrand produziert und in die Schale eingebaut. Blau- und Grüntöne entstehen als Schillerfarben (also keine Pigmente) in der Perlmutt-Schicht.
Die Farbe der Schnecken und Muscheln und ihre Buntheit haben nichts mit der Meeresverschmutzung zu tun (die übrigens nicht zu, sondern abnimmt zum grossen Glück; wenigstens in Europa und Amerika). Vermutlich fallen dir schöne Dinge besser auf als früher… mir gehts auch so :-)
Herzlichen Dank für die auch für Laien ziemlich gut verständlichen Texte, informationen und schönen Bilder!
Und noch ein kleiner Hinweis, der weiterführende Link zur Fortpflanzung von Muscheln ist nicht mehr aktuell. Er sollte wohl auf diese Seite führen: https://www.thomasjermann.ch/meeresblog/fortpflanzung-der-muscheln/
Vielen Dank für den Hinweis, nun sollte es klappen!
Thomas
Ich bin auf deinen Blog gestossen bei der Suche nach Bildern/Texten zum versinnbildlichen meiner Entwicklung und Entfaltung während einer Ausbildung und dem zu Tage bringen meiner Perlen. Spannend was sich da für Querverbindungen machen lassen.
Herzlichen Dank!
Vielen Dank! Ja, die Natur ist wirklich voller Überraschungen... Kein Wunder, wir sind ja Teil davon.
Herzliche Grüsse
Thomas
Das Nervensystem der Muscheln ist anders aufgebaut als unseres. Ihnen fehlt zum Beispiel ein grosses zentrales "Hirn", in dem alles verarbeitet wird. Ihr Nervensystem ist einfacher aufgebaut und viel dezentraler. Trotzdem: Muscheln können sehen, tasten, schmecken und riechen. Das sind alles sensible Fähigkeiten. Die Fortbewegung wird wie bei uns über motorische Neuronen gesteuert.
Schmerz ist bei uns eine aussergewöhnliche Leistung des Hirns. Er hilft uns auf dramatische Art gefährliches Handeln zu vermeiden. Säugetiere und Vögel sind "begabte" Schmerzempfinder. Sie haben dazu auch ihr komplex gebautes Hirn zur Verfügung, wo ganze Areale für die Schmerzerzeugung zuständig sind. Muscheln besitzen diese Hirnareale nicht. Sie spüren aber Druck, Hitze oder Kälte, was sie ebenso von gefährlichem Verhalten abhält. Ob man dies als Schmerz, wie wir ihn kennen, bezeichnen kann, ist fraglich.
Herzliche Grüsse
Thomas
Thomas
Ich kenne zwar keine einschalige Muschel, aber vielleicht gibt es das trotzdem (?). Es gibt soviele Spezialfälle in der Natur...
Als Felsenmuscheln werden hie und da manche Pilgermuscheln genannt (die aber zwei Schalen haben, wie es sich für eine Muschel gehört). Bisweilen bezeichnet man auch Napfschnecken als "Felsenmuscheln". Und die haben tatsächlich nur eine Schale. Hast du die gemeint? Dann hast du (fast) recht :-)
Napfschnecken sind zwar keine Muscheln, sondern relativ ursprüngliche Schnecken. Aber sie haben schneckentypisch nur eine Schale.
Herzlich Thomas
Was denkst du?