Wie entstehen Meeresströmungen? Und welchen Einfluss haben sie?

Wie entstehen Meeresströmungen? Und welchen Einfluss haben sie?

von Thomas Jermann
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Die Meeresströmungen steuern unser Klima, denn sie transportieren enorme Mengen an Energie in Form von Wärme oder Kälte in weit entfernte Meeresgebiete des Planeten. Strömungen sind die Grundlage für die Fortpflanzung der Mehrzahl der Meerestiere. Mit ihnen verbreiten sich Tiere, Pflanzen und Nährstoffe im Meer. Aber, wie entstehen Meeresströmungen?

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Die Meeresströmung, die rund um die Antarktis führt (die antarktische Zirkumpolarströmung) hält die Kälte im Südpolarmeer zurück. Deshalb ist die Antarktis dermassen kalt (max -89°C). Meeresvögel wie der Schwarzbrauenalbatros profitieren von der nährstoff- und fischreichen kalten Strömung.

Das Meer wirkt auf den ersten Blick wie ein stehendes Gewässer. Manchmal mit grossen Wellen zwar... aber eigentlich wie ein riesiger See. Weit gefehlt: «Das Meer ist ein Fliessgewässer!», schärfte uns unser Professor, der die Einführungskurse in Meeresbiologie hielt, immer wieder ein. Wie recht er hatte, wurde mir bereits beim ersten Tauchgang 1984 vor der Insel Elba klar. Ich tauchte ab und … war schon weggespült. Ich musste mich am Meeresboden mühsam mit den Händen über Felsen und Steine zurück in Richtung Boot ziehen.

Das Meer ist ein Fliessgewässer. Das bedeutet mehr als nur mühsame Tauchgänge. Es erklärt das Wesen des Meeres.

Wir können fünf Ozeane unterscheiden: Atlantik, Pazifik, Indik, Nordpolarmeer und Südpolarmeer. Meeresströmungen durchziehen alle Ozeane und verbinden sie untereinander. Man könnte deshalb auch sagen: «Es gibt nur einen Ozean», denn die Wassermassen der Ozeane sind genauso wenig voneinander getrennt wie viele ihrer Bewohner.

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Die grossen Meeresströmungen. Aus: Meyers Konversations-Lexikon, 1885–1890, Artikel „Meer“

Meeresströmungen muss man als globale Zirkulation betrachten. Es gibt Strömungen an der Oberfläche und solche in der Tiefe. Natürlich bewegen sich die Wassermassen auch in den Mittellagen, aber weniger stark.

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Strömungen im Ozean können sich kreuzen, ohne sich gegenseitig zu bremsen, wenn sie auf unterschiedlichen Etagen fliessen. Manchmal kollidieren sie und drängen sich gegenseitig ab. So werden Fliessrichtungen ganzer Ströme verändert: Der Labradorstrom drängt den noch jungen Golfstrom von der amerikanischen Ostküste weg in Richtung Europa. Zum Glück, denn sonst hätten wir in der Schweiz ein Klima wie in Kanada (siehe unten bei «Golfstrom»).

Phänome der Meeresströmungen

  • Meeresströmungen sind grosse, stabile Wasserbewegungen; sie durchziehen alle Meer.
  • Ein «globales Förderband» verbindet alle Ozean.
  • Strömungen neigen zu Kreis- oder Wirbelbildung, im Norden drehen diese Wirbel meist nach rechts (mit dem Uhrzeigersinn), im Süden nach links. Dafür verantwortlich ist die sogenannte Corioliskraft.
  • Es gibt Meeresströmungen, die nur periodisch auftreten oder die Richtung wechseln können (Strömungsphänomene wie El Niño/La Niña im Pazifik oder der Monsunstrom im Indischen Ozean).

Wie entstehen Meeresströmungen?

Strömungen werden zwar auch durch Gezeiten, Wellen oder Tsunamis erzeugt, die wichtigsten Ursachen der Meeresströmungen sind aber andere Prozesse.

Meeresströmungen entstehen durch unterschiedliche Faktoren

Der Wind reibt an der Wasseroberfläche und bringt sie in Bewegung, er zieht die Wasserteilchen der Oberfläche mit sich. Mit zunehmender Tiefe nimmt die Strömungsgeschwindigkeit im Wasser ab, an der Oberfläche strömen windgetriebene Strömungen am schnellsten. Die Oberflächenströmungen, die durch Wind entstanden sind, heissen Driftströmungen. Sie beeinflussen die Wasserschichten bis in etwa 200 Meter Tiefe. Meist verlaufen diese annähernd parallel zu den Rändern der Kontinente, den Küstenlinien.

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Was machen diese Pinguine im heissen Südafrika? Das Wasser an diesem Strand in der Nähe von Kapstadt ist eiskalt. Der kalte Benguelastrom zieht - von der Antarktis kommend - an Südafrikas Westküste vorbei. Und bringt riesige Fisch- und Krillschwärme.

Die meisten grossräumigen Meeresströmungen werden von globalen Windsystemen wie Passaten, Monsunen und der Westwinddrift angetrieben.

Was vom Wind an der Oberfläche weggedrückt wird, muss durch andere Wassermassen wieder ausgeglichen werden. Driftströme erzeugen also immer auch eine Sogwirkung - es entstehen Kompensationsströme. Dadurch steigt mancherorts kaltes Tiefenwasser an die Oberfläche – dies ist das sogenannte Upwelling.

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Strömung durch Gefälle - Gradientströmungen

Bedeutungsvoller als die Driftströme sind jedoch Strömungen, die durch Dichteunterschiede zwischen einzelnen Wasserschichten entstehen. Dichteunterschiede entstehen bei Temperaturgefällen oder bei Gefällen des Salzgehaltes der einzelnen Wasserkörper. Wenn etwa das warme Wasser des Golfstroms an Europa vorbei in Richtung Island und Grönland zieht, dann wird es laufend kühler. Dadurch nimmt seine Dichte zu, und es sinkt schliesslich vor Grönland in die Tiefe. In gewaltigen Massen. Danach strömt es auf dem Meeresgrund zurück zum Äquator und darüber hinaus zur Antarktis. Wo aber riesige Wassermassen in der Tiefe verschwinden, entsteht eine Lücke. Es wird Wasser nachgesogen. Gradientströme sind gigantische Wasserpumpen.

Wenn Eis das Wasser strömen lässt

Ein anderer Motor ist die «thermohaline Zirkulation» unter dem Meereis. Wenn Meerwasser gefriert, entsteht - salzhaltiges - Meereis. Dieses enthält aber etwas weniger Salz als das umgebende Meerwasser. Warum das denn nun?

Das salzige Wasser «weigert» sich förmlich zu gefrieren. Der Gefrierpunkt von durchschnittlich salzigem Meerwasser (3.5% Salzgehalt) liegt bei -1.8°C. Es bilden sich im entstehenden Eis sehr salzhaltige «Soletaschen». Je schneller das Meerwasser gefriert, desto mehr Salz bleibt im Eis zurück, je langsamer das Meerwasser gefriert, desto süsser wird es. Die schwere Salzsole wandert zudem mit der Zeit durch die Eisdecke nach unten und erzeugt unter dem Meereis eine starke Abwärtsbewegung des Wassers. Es entsteht eine thermohaline Zirkulation (thermo: Temperatur, haline: Salz, salzig). Wo grosse Meeresgebiete zufrieren, stürzen darunter gewaltige, schwere und sehr salzige Wassermassen in die Tiefe und erzeugen weitreichende Strömungen.

Süss-salzige Unterschiede

  • Meereis: Auch Meerwasser gefriert. Der Gefrierpunkt von Meerwasser liegt bei -1.8°C
  • Reines Eis schwimmt mit 8.3% seiner Masse über dem Wasserspiegel.
  • Die Dichte von Meerwasser nimmt zwischen 0°C und -1.8°C zu.
  • Dies ist ein deutlicher Unterschied zum Süsswasser in Seen und Flüssen: Süsswasser hat das Dichtemaximum bei +4°C. Das Süsswasser im winterlichen See erreicht irgendwann eine stabile Schichtung: zuoberst Eis, darunter kaltes Wasser von 0°bis +3°C, zuunterst liegt +4°C warmes Wasser. Deshalb ist es dort im Winter für Frösche und Fische schon fast wohlig warm :-)
  • Das Wasser unter dem Meereis hingegen zirkuliert ständig: Kaltes Wasser sinkt ab, wärmeres Wasser steigt unter dem Meereis auf.
  • Schwere Salzsole tritt aus dem noch jungen Eis aus und stürzt in die Tiefe.


Die grossen Meeresströme

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Bild: NASA. Der Golfstrom zieht an der US-Ostküste nach Norden, vor Kanada dreht er nach Europa ab.

Kalte Meeresströmungen transportieren kälteres Wasser durch warmes Umgebungswasser,

Beispiele: 

  • Humboldtstrom
  • Benguelastrom
  • Kanarenstrom
  • Ostgrönlandstrom
  • Labradorstrom

Warme Meeresströmungen transportieren wärmeres Wasser durch kaltes Umgebungswasser

Beispiele:

  • Golfstrom
  • Brasilstrom
  • Agulhasstrom
  • Kuroshio
  • Karibischer Strom
  • Nord- und Südäquatorialströme

Manche Meeresströme beeinflussen das Klima nicht nur regional sondern global, wie der Golfstrom.

Der Golfstrom

Der Golfstrom ist Teil eines riesigen Stromrings im Atlantik und besteht aus Portugal-, Kanaren-, Nordäquatorial-, Antillen-, Florida- und Nordostatlantischem Strom.

  • Er fliesst erstaunlich rasch durch den Atlantik. Im Durchschnitt erreicht er rund 1,8 m/s, das entspricht 6.5 km/h oder 155 km/Tag.
  • Dabei werden je nach Ort und Jahreszeit zwischen 30 und 150 Millionen Kubikmeter pro Sekunde bewegt, oder rund drei Milliarden Kubikkilometer pro Jahr.
  • das entspricht der 100-fachen Menge des Wassers aller Flüsse!

Dermassen viel Wasser enthält auch sehr viel Energie. Im Golf von Mexiko und der Karibik wurde das Wasser durch die Sonne stark erwärmt. Wenn es Richtung Europa driftet transportiert es etwa 1,5 Petawatt (das ist eine Zahl mit 15 Nullen). Diese Energie entspricht der elektrischen Leistung von ungefähr einer Million der grössten Kernkraftwerksblöcke!

Die im Golfstrom transportierte Energiemenge entspricht der Leistung von einer Million Kernkraftwerksblöcken!

In Europa kühlt sich der Golfstrom langsam ab und wird zum Nordatlantikstrom. Die nun kühlen Wasser sinken vor Grönland in die Tiefe und ziehen in der Mitte des Atlantiks Richtung Antarktis.

Der Ausdruck «Golfstrom» wurde von Benjamin Franklin geprägt, der vor und während der Gründung der USA mehrmals nach Frankreich segelte und dabei - ganz beiläufig - die Meeresströmungen als Erster ganz genau unter die Lupe nahm.

Zum Schluss:

Warum drehen sich die grossen Strömungen der Nordhalbkugel nach rechts - im Uhrzeigersinn - und die Strömungen der südlichen Meere nach links?

Verantwortlich für das seltsame Phänomen ist die Corioliskraft, die auf das frei bewegliche Wasser einwirkt. Sie beruht auf der Tatsache, dass das Wasser der Ozeane und der feste Körper der Erde praktisch gleich schnell rotieren. Logisch.

Die Bahngeschwindigkeit eines Wasserteilchens am Nordpol ist aber theoretisch 0 km/h, es dreht sich nur um sich selbst und legt keine Distanz zurück. Dasselbe Wasserteilchen hätte am Äquator eine rasend schnelle Bahngeschwindigkeit von rund 1670 Km/h, in Basel immerhin noch etwa 1200 Km/h. Wir sind also alle ganz schön schnell unterwegs! Strömt nun Wasser von Norden Richtung Äquator, wird es - da es ja zu Beginn am Pol eine tiefe Bahngeschwindigkeit hat - von der sich darunter drehenden Erde überholt. Die Erde dreht sich von West nach Ost, von oben betrachtet gegen den Uhrzeigersinn. Auch wenn das Wasserteilchen genau geradeaus nach Süden fliessen würde, vollführte es bezogen auf den Meeresboden trotzdem eine bogenförmige Bahn. Und diese dreht nach rechts. Auf der Südhalbkugel führt dies zu einer Linksdrehung. Diese Bogenbahn ist das Resultat der Coriolisbeschleunigung.

Zuallerletzt: Mit dem Drehsinn des Wirbels in der Badewanne hat das Ganze aber wirklich nichts zu tun. Dort regiert noch immer der Zufall, und nicht die Corioliskraft.

Thomas Jermann
Thomas Jermann
Ich bin Meeresbiologe und Fotograf. Ich biete private Strand-Führungen in der Bretagne, sowie Vorträge zu ausgewählten biologischen Themen an - für Deinen Verein, Deine Firma oder als Teil einer Veranstaltung.

1 Kommentar

Walter Bader
Walter Bader
Wie immer: Klar, verständlich, auch für mich Laie "kapierbar". Besten Dank

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