Man sieht sie zwar nie, aber sie sind im Sand- und Schlickwatt millionenfach vorhanden. Etwa zwanzig Zentimeter tief im Sand eingegraben lebt der Wattwurm Arenicola marina in einer U-förmigen Wohnhöhle. Er ist bis 20 Zentimeter lang und hat einen segmentierten, zylindrischen Körper, auf dessen Seite borstige Kiemenbüschel herausragen. Schön ist anders. Wattwürmer finden sich nicht nur in der Nordsee im Wattenmeer, fast die gesamte Atlantikküste gehört ihnen, falls es breite Sandstrände gibt, und sogar im Mittelmeer sind die verborgenen Tiere zu finden.
Bisweilen findet man im Watt auf wenigen Quadratmetern dutzende von Wattwurmhäufchen. Ein gutes Zeichen für beste Bodenumwälzung.
Fasst man einen Wattwurm an, gibt er ein Sekret ab, und man bekommt gelblich-rötliche Verfärbungen an den Fingern. Das Sekret nutzt er, um die Wände seiner Behausung etwas zu stabilisieren; aber nicht allzu stark. Er lässt seine Wohnhöhle nämlich laufend kontrolliert einstürzen, und zwar mit einer selbstproduzierten Wasserströmung. Es entsteht auf dem Wattboden ein kleiner Einsturztrichter. So kommt der Wattwurm an die zwischen und auf den Sandkörnern lebenden Delikatessen, Mikroorganismen des Meeresbodens.
Im Watt finden sich bei Ebbe die kleinen Einsturztrichter der Wattwürmer. Sie filtern das herunterrieselnde Sand-Wasser-Gemisch und leben von Mikroorganismen des Bodens.
Die Wasserströmung dient gleichzeitig seiner Atmung. Durch die Strömung gelangt nämlich immer frisches Meerwasser in die Höhle.
Sie ertragen sogar starke Regenfälle, die den Salzgehalt des Bodenwassers aussüssen, und ihr roter Blutfarbstoff, das Hämoglobin, kann mehr als zehnmal so viel Sauerstoff aufnehmen, als das Hämoglobin des Menschen. Falls wirklich einmal für eine begrenzte Zeit kein Sauerstoff mehr zur Verfügung steht, kann der Wurm auf anaeroben Stoffwechsel umstellen. Unglaublich…
Der Wattwurm frisst gleich den ganzen herabrieselnden Sand, verdaut alles Verwertbare und scheidet am Schluss ein Knäuelhäufchen aus Verauungsresten und von Nahrung befreitem Sand aus. Im Jahr sind dies ungefähr 25 Kilogramm! Für einen 20 Zentimeter langen Wurm ist das ganz gehörig!
Auf einem von Wattwürmern besiedelten Strand wird der gesamte Untergrund bis in 30 Zentimeter Tiefe rund einmal im Jahr gefressen und umgewälzt. Eine ungeheure Leistung!
Im Boden drin sieht der Wattwurm keine Artgenossen, und die vielen Wohnhöhlen liegen strikt voneinander getrennt... Und raus auf den Meeresboden auf Brautschaue kann er auch nicht, da hätten die Möwen eine Riesenfreude. Eine schwierige Partnerwahl dürfte das für den Wattwurm werden.
Die Lösung ist so verzwickt wie kompliziert wie perfekt:
Wattwürmer sind getrennt geschlechtlich, es gibt also Männlein und Weiblein.
Vor allem im Oktober und November werden die Wattwürmer für etwa drei Wochen geschlechts-aktiv. Da eine Paarung nicht möglich ist – der Sandboden lässt keine romantischen Abenteuer zu – versuchen die Würmer sind geruchlich gegenseitig zu stimulieren. Die abgegebenen Pheromone synchronisieren die Laichaktivität der gesamten Population eines Strandabschnitts.
Die Wattwurm-Männer drücken ihr Sperma bei Ebbe durch die Wohnhöhle hindurch auf die Sandoberfläche. Da bleibt es liegen bis zur nächsten Flut. Die verteilt das Sperma auf dem ganzen Strand. Das Sperma wird so auch in Wohnhöhlen von Wattwurm-Frauen gespült. Diese legen nun ihre Eier in der Höhle ab, sie werden durch die Spermien im Atem-Wasserstrom gleich befruchtet. Bald entwickeln sich die Eier zu Larven, die zuerst noch in der Höhle aufwachsen. Nach einigen Tagen wandern die Wattwurm-Larven an die Oberfläche des Meeresbodens und warten auf die nächste Flut, am besten auf eine hoch aufsteigende Tide. Die sind bei Voll- und Neumond besonders stark.
Die jungen Larven werden nun bei steigender Flut auf dem Strand weit nach oben verfrachtet, meist auf festeres Gelände mit Geröll oder Kies.
Dort siedeln sie mehrere Monate gut geschützt in Schleimhüllen, die am Untergrund kleben. Die jungen Würmer werden am Ende dieser Larvenzeit von Strömungen weggetragen; sie graben sich darauf wieder an geeigneten Stellen auf einem hübschen Strand ein.
Nach drei bis vier Jahren sind sie geschlechtsreif. Dann pflanzen sie sich über fünf-sechs Jahre jeweils zwei-drei Wochen im Jahr fort.
4 Kommentare
In der Literatur wird beschrieben, dass die Larven temporär ihre Schleimhüllen verlassen können, um organisches Material oder Phytoplankton zu fressen:
"During that first settling
period, the first food intake occurs, where larvae
will live in a mucus tube but going out of their tube to
collect organic matter or phytoplankton."
Ich habs leider selbst noch nie gesehen...
Was denkst du?