Geniale Tiere der Tiefsee - Tiefsee Teil 2

Geniale Tiere der Tiefsee - Tiefsee Teil 2

von Thomas Jermann
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Wie bewältigen die Tiere der Tiefsee die extremen Bedingungen?

In die Tiefsee gelangt kein Sonnenstrahl. Dafür herrschen extreme Drucke von bis zu 1100 Kilogramm pro Quadratzentimeter. Und die Tiefsee ist mit meist -1 bis +4 Grad Celsius sehr kalt. In Teil 1 des Tiefseeartikels erfährst du noch mehr dazu.

Hier erfährst du nun, wie die genialen Tiere der Tiefsee mit der Dunkelheit, der Nahrungsknappheit, der Kälte und dem gewaltigen Umgebungsdruck in der Tiefe leben und umgehen. Tiefseetiere haben bemerkenswerte Anpassungen an ihre Umwelt hervorgebracht. Die einzelnen Merkmale sind bei nicht miteinander verwandten Tierarten unabhängig voneinander mehrmals entstanden. Dies nennt man «Konvergenz von Merkmalen».

Dies sind die wichtigsten Strategien, um in der Tiefsee zu bestehen:

Tiefseefische sind meistens klein

Die allermeisten Arten der Tiefe werden weniger als dreissig Zentimeter lang. Vermutlich hat dies mit dem Nahrungsangebot in der Tiefsee zu tun. Da kein Sonnenlicht in die Tiefsee vordringen kann, findet in der Tiefsee auch keine durch Photosynthese ermöglichte Produktion von Nährstoffen statt; die Tiefsee lebt vom Überfluss der höher gelegenen Schichten.

Warum es in der Tiefsee schneit

Konstant rieseln sterbende oder tote Organismen durch die kilometerhohen Schichten des Meeres in Richtung Meeresgrund. Dieser «Meeresschnee» aus einzelligen Mikroorganismen, Schnecken-, Krebs- oder Fischlarven oder sogar Leichen von grossen Tieren stellt den Grossteil der Nahrung für die Tiefseetiere dar.

Die Tiefsee lebt vom Überfluss der höher gelegenen Schichten

Zum Glück ist das Wasser der Tiefsee dermassen kalt: Der Stoffwechsel der Tiere ist dadurch verlangsamt, und ihr Energiebedarf gering. Trotzdem: Für grosse Tiere der Tiefe hat es wohl selten genug Nahrung. Kleine, wendige Fische sind da im Vorteil. Sie schnappen sich die kleinen vorbeisinkenden Teilchen. Die Dichte grösserer Tiere ist generell sehr klein.

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Warum fehlt Tiefseefischen meist die Schwimmblase?

Viele Fische der Tiefsee haben keine Schwimmblase. Und dies aus gutem Grund: Gasgefüllte Organe werden von den gewaltigen Drücken zusammengepresst. Macht der Fische vertikale Wanderungen – steigt er zum Beispiel nachts in Richtung Meeresoberfläche auf, um zu fressen – würde er Gefahr laufen zu zerplatzen, weil sich die Schwimmblase bei abnehmendem Druck allzu schnell ausdehnen würde.

Wie halten die Fische den Druck aus?

In 8178 Metern Tiefe wurde 2014 ein einzelner Fisch aus der Familie der Scheibenbäuche (Liparidae) gesichtet und gefilmt (siehe Link). Dies ist die Rekordtiefe für die Beobachtung von Fischen.

Es gibt für Fische eine theoretisch denkbare Maximaltiefe. Darunter ist ein Überleben sehr unwahrscheinlich. Diese Grenztiefe hängt von der Konzentration einer Substanz in den Fischzellen ab: Trimethylamin-N-oxid (TMAO), ein Aminoxid, sorgt dafür, dass die Proteine in den Zellen von Fischen und anderen Tiefseebewohnern unter dem gewaltigen Druck nicht zerstört werden. Je tiefer ein Fisch sinkt, desto höher wird sein TMAO-Gehalt in den Zellen. Ab einer gewissen Konzentration von TMAO wird die Muskelaktivität jedoch eingeschränkt und der Fisch würde ersticken. Ausserdem würden sich osmotische Probleme einstellen, ein Zerplatzen des Körpers wäre die Folge.

Warum sind die Tiere der Tiefsee oft halbtransparent oder völlig transparent?

Abgesehen vom Tiefseeboden ist die Tiefsee völlig strukturfrei. Es gibt keine Verstecke, keine Schlafplätze und keine Laichgründe. Die Tiere schweben einfach in der strukturlosen Dunkelheit. Ein Fisch, der eine auffällige Musterung hätte, würde im fahlen Licht der Leuchtorgane der Tiefseetiere schnell in der Dunkelheit auffallen. Es wäre in jedem Fall besser, wenn sein Körper das bläuliche Schimmern nicht reflektieren würde. Sehr viele Tiere der Tiefsee sind deswegen fast völlig transparent, vielleicht mit Ausnahme ihrer Eingeweide (siehe unten, «Verdunkelungstaktiker»). Quallen, Salpen, Tiefseefische, Schnecken und die Larven der allermeisten Meerestiere sind völlig transparent, um nicht aufzufallen. Die Transparenz ist übrigens in den meisten fällen energieaufwändig, sie ist also nicht einfach vorhanden: Stirbt ein transparenter Fisch, stirbt auch seine Tarnung und sein Körper wird weiss!

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Warum haben die Tiefseefische sehr grosse oder aber gar keine Augen?

Viele Tiefseefische haben besonders grosse Augendurchmesser. Der Vorteil liegt auf der Hand: Wie bei einer teuren Fotooptik hängt auch beim Auge die Lichtstärke vom Durchmesser der Pupille und der Linse ab. Je grösser die Pupille, desto mehr Licht kann ins Auge dringen. Die Tiefsee ist zwar duster aber nicht komplett dunkel. Zwar dringt das Sonnenlicht nur wenige hundert Meter tief ins Meer ein, die Biolumineszenz (siehe unten) der Tiefseeorganismen jedoch ist gut sichtbar.

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Schwarzer Degenfisch Aphanopus carbo, Madeira

Manche Fischarten jedoch verzichten komplett auf Augen. Diese wurden im Verlauf der Jahrmillionen von der Evolution «wegentwickelt». Da Fische sich auch ohne Augen mithilfe ihres Seitenlinienorgans – eine Art hyperpräzises Hörsystem – bestens orientieren können, scheint dieser Verlust verkraftbar.

Die Teleskopaugen des Glaskopffisches

Der Glaskopffisch Macropinna microstoma hat extrem lichtempfindliche Augen, die sich innerhalb eines transparenten, flüssigkeitsgefüllten Schildes auf dem Kopf drehen können. Die röhrenförmigen Augen des Fisches werden von leuchtend grünen Linsen bedeckt. Die Augen zeigen nach oben, wenn der Fisch über Kopf nach Nahrung sucht. Sie zeigen nach vorne, wenn der Fisch frisst. Die beiden Flecken über dem Maul des Fisches sind zu menschlichen Nasenlöchern analoge Riechorgane.

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Glaskopffisch Macropinna microstoma. Bild: Monterey Bay Aquarium and Research Institute

Sexualparasitismus beim Tiefseeanglerfisch

Die Tiefsee ist dünn besiedelt, denn das Nahrungsangebot ist klein. Wer sich dort fortpflanzen will, muss oft eine lange Suche nach Geschlechtspartnern antreten.

Nicht so der Tiefseeanglerfisch (Ceratioidei, Lophiiformes): Bei ihm sehen Männchen und Weibchen extrem unterschiedlich aus, sie haben also einen sogenannten starken Sexualdimorphismus.

Das Männchen ist winzig und erreicht lediglich fünf bis zehn Prozent der Grösse des Weibchens.

Ausserdem ist das «Zwergmännchen» alleine nicht überlebensfähig, es lebt fest verankert auf dem Weibchen und verwächst mit dessen Haut und Blutkreislauf! Zwei Auswüchse des Ober- und Unterkiefers des Männchens dienen dabei als Festhalteorgan. Die Männchen fressen selbst nichts mehr. Sie werden - ähnlich wie Embryonen in der Gebärmutter der Säugetiere - durch den Blutkreislauf des Weibchens ernährt. Angewachsene Zwergmännchen legen noch einmal etwas an Grösse zu, bevor sie mit den Weibchen laichen. Sie sterben mit dem Tod der Weibchen ebenfalls.

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Tiefseeangler, Bild: Monterey Bay Aquarium and Research Institute

Leuchtorgane und Biolumineszenz in der Tiefsee

Manche Lebewesen können Licht produzieren. Besonders bekannt sind unsere Leuchtkäfer, die durch die Oxidation von Luciferinen (wie D-Luciferin) Licht freisetzen. Bei einigen wenigen Tierarten gibt es primäres Leuchten, das heisst das Tier selbst produziert das Licht (Leuchtkäfer, manche Quallenarten). Bei Wirbeltieren wie Fischen gibt es nur sekundäres Leuchten, das heisst, das Licht wird von symbiotischen Organismen erzeugt, die meist in speziellen Leuchtorganen «produziert» werden. Solche primär leuchtenden Organismen sind entweder Einzeller oder Bakterien. Viele Fische haben entlang ihrer Flanken ganze Reihen von Leuchtorganen, in denen Bakterien Licht erzeugen.

Wozu braucht man im Dunkel der Tiefsee überhaupt Licht?

In der Dunkelheit lässt sich mit Licht viel anstellen. Tiefseefische locken damit zum Beispiel Garnelen oder andere Fische an, um sie zu fressen (siehe Tiefseeangler mit Lämpli...). Oft setzen die Fische das Licht ihrer Leuchtorgane aber zur Kommunikation ein. Laternenfische blinken sich je nach Laune unterschiedliche Signale zu. Männchen und Weibchen blinken zudem unterschiedlich: Das Leuchten kann also auch im Dienst der Fortpflanzung stehen. Es kann allerdings auch abschrecken: Manche Garnelen schleudern ihren Angreifern zur Abschreckung eine aufblitzende Wasserwolke entgegen.

Tiefseeangler mit Lämpli als Lockvogel

Ein ganz spezielles Leuchtorgan sitzt beim Tiefseeanglerfisch auf einer Art Angelrute: Der vorderste Strahl der Rückenflosse ist einzeln beweglich und ausgesprochen lang. Er wird vom Anglerfisch über seinem riesigen Maul hin- und her gewedelt. Am Ende dieser «Rute» befindet sich ein Leuchtorgan. Für einen kleinen Raubfisch der Tiefsee sieht das sich seltsam bewegende Licht aus, wie ein sterbender Fisch, der nur darauf wartet, gefressen zu werden. Ein tödlicher Irrtum.

Meist findet man ein einzelnes angewachsenes Zwergmännchen pro Weibchen, es können bei manchen Arten aber auch mehrere sein. Der Rekord liegt heute bei acht Zwergmännchen an einem einzigen Weibchen.

Verdunkelungstaktiker

Eidechsenfische der Familie Giganturidae (ich glaube dafür gibt es noch keine deutsche Bezeichnung) gehen auf Nummer sicher: Sie jagen kleinere Tiefseefische. Dabei befinden sich immer auch solche, die Leuchtorgane besitzen und deshalb Licht aussenden. Genau dies ist für einen Tiefsee-Raubfisch heikel. Ein leuchtender Fisch im Magen ist im Dunkel der Tiefsee durch die Körperwand hindurch noch sichtbar. Bei den Tiefsee-Eidechsenfischen ist das Problem elegant gelöst: die nur 15 bis 20 Zentimeter langen Fische sind innen komplett schwarz! Ihr Maul und die Leibeshöhle sind innen dunkel verspiegelt, um die Leuchtorgane von gefressenen Beutefischen abzudunkeln.

Die Bläh-Mägen und die «Garagentor-Kiefer» der Tiefseefische

Bei knappem und erst noch seltenem Nahrungsangebot ist Erfindergeist gefragt. Manche Tiefseefisch haben extrem dehnbare Mägen, sodass die Beute grösser sein kann als der Jäger. Der Pelikanaal (Eurypharynx pelecanoides) hat ein Maul, das so breit ist wie ein Viertel seiner Körperlänge und der Schlinger (Saccopharynx lavenbergi) ähnelt eher einem Staubsaugerbeutel als einem Fisch, derart weit kann sein Magen ausgedehnt werden.

«Supervision»

Die Sehkraft der Netzhaut im Auge ist bei vielen Tiefseefischen im Vergleich zu Arten der Oberfläche stark erhöht. Diese Supervision kommt durch eine aussergewöhnliche Zunahme der Gene für spezielle Netzhautproteine – sogenannten Stäbchen-Opsinen – zustande. Es ist sogar denkbar, dass die Tiefseefische trotz der grossen Dunkelheit in Farbe sehen können!

Um zu erfahren, wie dies funktioniert, untersuchte ein Team um den Evolutionsbiologen Walter Salzburger von der Universität Basel die Opsin-Proteine von Tiefseefischen. Sie fanden die erwähnte Vervielfältigung der Gene in mehreren Arten aus unterschiedlichen Verwandtschaften von Tiefseefischen. Die vielen Gene sorgen dafür, dass die Fische auch feinste Unterschiede der grünlich-blauen Biolumineszenz unterscheiden können.

Wenn du erfahren willst, welch garstige Bedingungen in der Tiefsee herrschen und wie die Tiefsee nun langsam erforscht wird, dann lies meinen ersten Blogartikel zur Tiefsee.

Thomas Jermann
Thomas Jermann
Ich bin Meeresbiologe und Fotograf. Ich biete private Strand-Führungen in der Bretagne, sowie Vorträge zu ausgewählten biologischen Themen an - für Deinen Verein, Deine Firma oder als Teil einer Veranstaltung.

1 Kommentar

André Reiffer
André Reiffer
Guten Tag Thomas,
Herzlichen Dank für die interessanten Artikel. Ich bin zwar erst seit etwa einem Monat regelmässiger Leser, aber habe schon viel erfahren und gelernt. Ich verbrachte 14 Jahre in der Indopazifischen Region (hauptsächlich Papua-Neuguinea und Republik Kiribati) war dabei regelmässig mit Segelbooten zum Fischen ausgelaufen und hatte mich immer mal wieder gefragt, wie es wohl unter mir aussehen würde. Der Meeresboden sinkt ja schon wenige Meilen weg von den Atollen auf tausende von Metern ab. Hatte auch das erwähnte Monterrey Aquarium in Kalifornien schon mehrmals besucht und lasse überhaupt kaum eine Möglichkeit aus, weitere auf allen Erdteilen zu besichtigen (Lissabon, Singapore, Sydney, Milford Sound etc.). Gehöre wohl auch etwas zur Kategorie der Foodies und bin so anlässlich der Übersetzungshilfe der Meeresfrüchte an der Französischen Westküste auf Deine Artikel aufmerksam geworden. Meine letzten Segeltörns starteten oder endeten in Cherbourg resp. der Isle of White und somit hatte ich einige Male das Vergnügen, dabei eben von den frischen Erzeugnissen zu geniessen. Freue mich auf weitere spannende Beiträge. Besten Dank abermals André

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