An der Küste ist sofort klar, wer Chef ist: Die Grossmöwen zeigen wo’s langgeht. Die anderen Vogelarten begegnen ihnen nur mit Vorsicht. Aber was macht Möwen am Strand und im Binnenland so erfolgreich?
Möwen sind Meeresvögel – oder «Seevögel». Alle 54 Arten (die Anzahl kann je nach Systematik leicht schwanken) gehören zu derselben Familie, den «Möwenverwandten» oder Laridae. Ihnen am nächsten sind die Seeschwalben Sternidae, und in die weitläufige Verwandtschaft gehören auch die Regenpfeifer, Alken- oder Schnepfenvögel.
Ein Silbermöwenpärchen begrüsst sich
Küsten oder Inseln sind bevorzugte Lebensräume der Möwen, und an diesen Lebensraum sind sie perfekt angepasst. So finden Möwen am Strand ausreichend Nahrung und die steilen Klippenfelsen bieten nachts und während der Brut Schutz vor Raubtieren. Mit Ausnahme der Dreizehenmöwe wagen sich Möwen meist nicht weit hinaus in die Hochsee, sie sind zu stark ans Land gebunden. Spätestens zur Brutzeit wird dies deutlich, wenn sie ihre dichten Brutkolonien an der Küste bilden.
Möwen und andere Meeresvögel wie hier die Krähenscharben (eine Kormoranart) ziehen sich gerne auf Inselchen vor der Küste zurück. Dort können sie ausruhen und sind vor Raubtieren sicher.
Ihr Ruf ist typisch und reicht von Lachen, Gackern und Schreien bis hin zu Jammern. Gibt es ausser dem Rauschen der Brandung ein schöneres Meeresgeräusch? Sicher kein typischeres!
Möwen haben lange, schlanke Flügel, die ihnen sowohl rasante Sturzflüge wie auch „Hängegleiten» in Aufwinden ermöglichen. Der Schwanz ist in der Regel gerundet. Ausser bei der Gabelschwanzmöwe, da erübrigt sich auch die weitere Beschreibung.
Gabelschwanzmöwe auf den Galapagos-Inseln
Möwen sind mittelgrosse bis grosse Vögel. Sie sind grau oder weiss, mit schwarzen arttypischen oder altersabhängigen Markierungen an Kopf oder Flügel. Der Körper ist meist leuchtend weiss und hat einen dunkleren Mantel, der von hellgrau bis schwarz variieren kann. Natürlich gibt es Ausnahmen: Die Elfenbeinmöwe ist – der Name weiss es bereits – ganz weiss, die zierliche Lavamöve der Galapagosinseln, von der es nur wenige Hundert Exemplare gibt, ganz grau.
Lavamöve, Galapagos-Inseln
Der Kopf kann je nach Art, Jahreszeit oder Brutgeschehen mit einer dunklen Kapuze bedeckt oder ganz weiss sein. Der Schnabel der Möwen ist kräftig, schlank und scharf Schnabel, die Füsse sind mit Schwimmhäuten versehen.
Ihre Anatomie ermöglicht den Möwen sowohl Schwimmen, Fliegen als auch Schreiten oder gar Rennen. Sie sind zu Fuss geschickter als die meisten anderen Meeresvögel. In der Luft sind sie wahre Akrobaten und können sowohl mit Aufwinden spielen, schweben und segeln als auch im Sturzflug auf eine Beute zuhalten. Und sie benötigen zum Abheben nur sehr wenig Platz.
Die riesige Mantelmöwe vor einer bretonischen Küstenlandschaft
Möwen sind grossartige Athleten, sie sind schnell und kräftig, robust und haben ausgezeichnete Sinnesorgane; dazu sind sie intelligent, geschickt, mutig und äusserst anpassungsfähig.
Möwen sind – wenn es um die Nahrung geht – die am wenigsten spezialisierten aller Seevögel. Sie sind vor allem Fleischfresser, aber ihr Nahrungsspektrum ist fast unbeschränkt und ändert sich mit den Gelegenheiten: Sie fressen sowohl frisch gejagten Fisch als auch Krebstiere, Muscheln, Schnecken, Würmer und kleinere Vögel. Sie können riesige Brocken verschlingen oder Körnchen picken, sie fressen auch Süsswasserwirbellose, lebende und auch tote Insekten und Regenwürmer, Nagetiere, Eier, Aas, Innereien, Reptilien, Amphibien, Samen und Früchte und sogar menschlichen Müll.
Keine einzige Möwenart ist ein strenger Nahrungsspezialist. Die Art der Nahrung hängt von den Umständen ab: Terrestrische «Beute» wie Samen, Obst oder Regenwürmer werden während der Brutzeit häufiger gefressen, während Meeresbeute ausserhalb der Brutzeit bevorzugt wird; dann verbringen die Vögel mehr Zeit auf See.
Mantelmöwe und Silbermöwe am Strand
Die Futterbeschaffung ist genauso vielfältig wie das Futter selbst. Möwen jagen aus der Luft, fangen Fische im Flug durch Wellentäler, graben im lockeren Sand nach Würmern oder werfen Muschelschalen auf harten Fels, um sie zu öffnen. Dabei werden sie mit zunehmendem Alter immer geschickter. Es gibt auch Möwen am Strand, die in den Gezeitentümpeln erfolgreich nach Fischen jagen. Sogar Mäuse jagen manche Möwen!
Oft werden Möwen beobachtet, wie sie sich in Gesellschaft mit Walen, Thunfischen oder anderen Seevögeln am reichen Tisch des Meeres bedienen. Meist allerdings, ohne selbst sehr viel Schweiss zu vergiessen. So folgen sie mit Vorliebe den Fischerbooten und räumen ab, was diese übriglassen.
Eine Mantelmöve, junge und eine erwachsene Silbermöwe und sogar ein kleiner Steinwälzer versuchen, einen von den Fischern verlorenen Plattfisch zu ergattern. Gegen die grosse Mantelmöwe kommt niemand an.
Wenn am Meer das Futterangebot zu klein wird oder das Wetter zu garstig, wenn es zu wenig geschützte Brutplätze gibt, dann ist das Binnenland eine lockende Alternative. Im Binnenland liefert die Landwirtschaft zu gewissen Jahreszeiten genügend Nahrung. Kiesinseln in Flüssen und Seen und neu entstandene Sandbänke sind frei von Raubtieren. Solche Biotope sind echte Alternativen zur Meeresküste! Möwen sind flexibel und im Gegensatz zu anderen Wasservögeln weniger an Seen und Flüsse gebunden. So legen sie bei der Nahrungssuche als exzellente Flieger problemlos teils grössere Strecken zu einem Gewässer zurück.
Wer so eng mit dem Meer zusammen lebt, muss mit dem Salz im Meerwasser umgehen können. Möwen trinken sowohl Süss- wie Meerwasser. Uns würde die enorme Salzmenge schaden, wir bekämen Durchfall, müssten uns erbrechen und würden sehr schnell austrocknen, wenn wir Meerwasser tränken. Möwen besitzen im Vorderschädel jedoch spezielle Salzdrüsen, mit denen sie das überschüssige Salz aus dem Blut extrahieren und dann als Sole über die Nase ausschneuzen können.
In vielen Sprachen sind ähnliche Worte für Möwen vorhanden: Ein älterer englischer Name ist mews, im Dänischen heissen sie måge, schwedisch sind es mås, holländisch meeuw, norwegisch måke/måse und sogar im französischen mouette ist das Wort «Möwe» oder «Mewe» noch erkennbar. Der deutsche Ausdruck Möwe hat seinen Ursprung wohl bereits im 16. Jahrhundert mit dem Wort mēwe / meve. «Mewe» war bis im 18. Jhd. gebräuchlich.
«Möve» (mit v) hingegen ist seit dem Ende des 20. Jhds veraltet.
Möwen gehören zu den einfallsreichsten, neugierigsten und intelligentesten Tieren überhaupt: Vor allem die grossen Arten wie Silber- und Mittelmeer- oder Herings- und Mantelmöwen kommunizieren komplex miteinander und haben eine hochentwickelte Sozialstruktur.
Silbermöwen rangeln um ein Stück Brot. Die Dreisteste gewinnt oft.
Viele Möwenarten haben gelernt, mit Menschen oder in ihrer Nähe zu leben; sie legen in der Regel die meiste Scheu ab, wirken eher cool und distanziert. So bedienen sie sich auf landwirtschaftlichen Flächen gern an Würmern und Bodeninsekten, ja sogar an Sämereien!
In Möwenkolonien werden ungeliebte Nachbarn gemeinsam so lange gemobbt und bedrängt, bis sie sich einen neuen Nistplatz suchen. Möwen belästigen Raubtiere, und sie vertreiben gezielt und gemeinsam Eindringlinge. Manche Möwenarten benützen Werkzeug, um an Nahrung zu kommen: Heringsmöwen wurden dabei beobachtet, wie sie Brotstücke als Köder zum Fischfang einsetzen.
Andere Arten verlassen sich auf einen geschickten «Kleptoparasitismus»: Sie überfallen andere Meeresvögel, die gerade einen Fisch ergattert haben. Sie bedrängen sie in wilden Flugmanövern so lange, bis diese ihre Beute wieder auswürgen und sich aus dem Staub machen.
Möwen wurden auch beobachtet, wie sie sich von lebenden Walen ernähren, indem sie auf deren Rücken landen und Fleischstücke aus ihnen heraushacken.
Zugegeben, sehr sympathisch tönt das alles nicht, aber Moral spielt in der Natur ja nur eine kleine Rolle. Möwen sind auf jeden Fall mit sehr vielen Talenten ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, mit den unterschiedlichsten Lebensräumen und Situationen zurecht zu kommen. Sie sind schlicht faszinierend!
Wir können sehr viele verschiedene Rufe bei Möwen unterscheiden. Es gibt bei jeder Art einen Hauptruf, der je nach Absicht und Situation in verschiedenen Varianten geäussert werden kann. Ausserdem unterscheidet man Schnappruf, Balz- und – eine besonders langgezogene und klagende Variante – den Wolllustruf. Stakkatoruf (ein tiefes und gackerndes ha-ha-ha! oder gä-gä-gäg) bei Fluchtbereitschaft, Jauchzen – bei der Silbermöwe tönt das wie aau aau au kjiiiau kjau kjau – tiefes und hohes Bellen, Katzenruf – als positives Verhältnis zu Partner, Nest und Jungen – sind weitere Beispiele von Möwensprache! Dazu kommen noch die vielen Laute der Jungvögel. Und bei jeder Art tönts sowieso noch einmal anders. Mit «Möwengeschrei» wird man den vielfältigen Lautäusserungen also nicht gerecht.
Möwen nisten in grossen, oft dicht gepackten und sehr lauten Kolonien. Innerhalb der Kolonien verteidigen sie winzige Reviere. Die Partner scheinen über die Jahre recht monogam zu sein, wenn auch nicht sehr streng.
Paarung bei Silbermöwen
Üblicherweise legen die Weibchen zwei oder drei gesprenkelte Eier in Nester, die sie aus Pflanzenteilen gebaut haben. Die Nester werden von den Erwachsenen erbittert und aggressiv verteidigt, sowohl gegen die unliebsamen nachbarlichen Artgenossen als auch gegen andere Vögel oder Säugetiere. Die Jungen schlüpfen nach 3-5 Wochen und können dann bereits sehen und stehen; sie bleiben jedoch als Nesthocker je nach Art bis zu zwei Monate im Nest. Ein roter Fleck am Schnabel einiger Möwenarten wurde zum berühmten Studienobjekt: Sehen die Jungen einen gelben Schnabel mit einem roten Fleck, dann beginnen sie sofort zu betteln. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um einen elterlichen Schnabel oder um eine gelbe Attrappe handelt (Niklaas Tinbergens Schlüsselreiz).
Der scharfe Blick der Silbermöwe
Die grossen Möwen-Arten benötigen bis zu vier Jahre, um ihr Adultgefieder zu erreichen, die kleineren schaffen dies in zwei Jahren. Die Bestimmung der Grossmöwen ist deshalb nicht immer ganz einfach! Möwen leben in der Regel lange: Den verbürgten Rekord hält eine Heringsmöwe mit 49 Jahren.
7 Kommentare
Ich bin fasziniert von Möwen und habe endlich die Bestätigung vieler meiner Vermutung bekommen.
Wenn man einen Vogel am Strand sitzen sieht, ist es wohl am besten, ihn vorerst einmal in Ruhe zu lassen. Zurückhaltung ist meistens richtig. Wir wissen ja nicht, wie es ihm geht. Vielleicht braucht er nur etwas Ruhe oder wärmt sich am Strand auf.
Wenn man eine Verletzung sieht, dann kann man lokale Tierschutzorganisationen kontaktieren, die wissen, was im konkreten Fall zu tun ist.
Im Moment grassiert in Europa gerade eine Vogelgrippe. Sterbende oder tote Vögel also nicht anfassen und ggf den lokalen Behörden melden.
Wir sehen auch täglich Verhaltensweisen, die uns immer erstaunen lassen. Liebe Grüße Jeanette
Ich kann das gar nicht beschreiben.
Hat das Gründe?
Liebe Grüße Jeanette
Tolle Seite übrigens. Habe wieder neues Wissen erlangt. 👍
Hallo Jeanette
Vielen Dank für das nette Feedback.
Dass Möwen gerne einen ziemlich festen Individualabstand einhalten, sehe auch ich laufend. Allerdings habe ich dazu keine eindeutige Erklärung. Möwen können ja recht raubeinig miteinander umgehen, vielleicht ist das die typische Fluchtdistanz, um Ärger aus dem Weg zu gehen? Oder um Aggressionen gar nicht erst aufkommen zu lassen? Oder, um eine allfällige Beute vor Artgenossen „in Sicherheit zu bringen“? Ich werde versuchen, eine Antwort zu finden.
Herzliche Grüsse Thomas
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