Das Gesicht des Baby-Rochens - was ist hier was und wo?

Das Gesicht des Baby-Rochens - was ist hier was und wo?

von Thomas Jermann
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Das Gesicht des Baby-Rochens löst sofort ein "Jöö" aus. Wie entsteht das herzige Gesicht und welche Organe sieht man da?

Viele junge Fische mögen das flache Wasser gleich unterhalb der Gezeitenzone im Ärmelkanal. Hier gibt es viele geschützte Plätze, sei es zwischen den Braunalgenblättern, unter Felsbrocken oder in Höhlen. Nagelrochen-Babys sind ende Sommer häufig hier zu finden. Sie sind soeben aus einer hornigen Eihülle geschlüpft, die ihre Mutter vor Monaten ins Küstengewässer abgelegt hatte und lernen nun das Meer nach und nach kennen. Die knuddligen kleinen Tiere «fliegen» auf ihren Brustflossen, die mit dem Körper zu einer runden Scheibe verwachsen sind, elegant aber noch scheu, durchs Wasser. Ich drehe sie gerne sanft auf den Rücken, dann sehen die Nasenlöcher aus wie Augen in einem Gesicht!

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Ein junger Nagelrochen von unten: Die vermeintlichen Augen sind die Nasenlöcher. Man sieht auch die feinen Zähnchen im Maul. Die Kiemenöffnungen machen einen U-förmigen Kranz. Darunter sieht man einen «Knubbel»… das ist der Nabel.

Aber was soll denn das? Nasenlöcher auf der Bauchseite? Das Gesicht des Baby-Rochens sorgt gern für Verwirrung. Alles scheint irgendwie am falschen Ort zu sein. Ich brösel’s mal auf und fange am besten mit dem Maul an.

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Ein Maul mit vielen Ersatzteilen

Das Maul ist eindeutig zu erkennen. Es befindet sich auf der Körperunterseite, wie es sich gehört. Wenn man genauer hinschaut, sieht man hunderte von winzigen Zähnchen. Rochen haben wie die Haie – mit denen sie nah verwandt sind – ein «Revolvergebiss». Sind jeweils die vordersten Zähne abgenutzt, brechen sie einfach weg und von hinten kommt eine neue Reihe Zähne «angerollt». Wie vom Fliessband. Die Zahnform ist von Rochen zu Rochen unterschiedlich. Man braucht die Zähne auch, um die Art der Rochen zu bestimmen. Die meisten Arten haben ein Gebiss, das aussieht wie eine Strassenpflästerung, mit flachen, sehr robusten Zähnen, mit dem man Muscheln knacken oder Garnelen aufbrechen kann. Nicht so beim Nagelrochen: Der frisst Krebse und glitschige kleine Fische; da ist eine rutschfeste, spitze Bezahnung natürlich besser.

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Die unzähligen spitzen Zähnchen eines Rochens, eventuell eines Nagelrochens.

Von den Mundwinkeln weg ziehen feine Rinnen zu den Nasenlöchern. Die Rinnen verbinden die Mundhöhle mit den Nasenhöhlen. Das macht ja auch Sinn, denn so kann der Rochen der Nase ständig Wasser zuführen. Die Nasenlöcher liegen weit auseinander; so riecht der Rochen in 3D. Futterquellen werden angepeilt und sofort gefunden.

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Pflastersteinförmige Zähne eines anderen Rochens (die Art ist unbekannt)

Bodenbewohner mit Saugstutzen

Rochen sind notorische Bodenbewohner. Da ist ihre Flachheit sehr nützlich. Sie können sich schnell zur Tarnung eingraben und auf Beute lauern. Die Augen ragen leicht über die Körperoberseite hinaus und überprüfen die Tarnung.

Tarnung ist für zweierlei gut: Erstens ist man vor Fressfeinden geschützt, zweitens kann man Beute leichter überraschen.

Ein grosses Problem gibt es jedoch: Wer auf dem Boden liegt und das Atemwasser durch das Maul einsaugen muss – so wie das Fische eben tun – der riskiert, Sand oder Schlamm in die Kiemen zu spülen. «Das muss nicht sein», dachten sich urtümliche Haie und Rochen und erfanden bereits im Erdaltertum das Spiraculum. Auf Deutsch heisst es auch Spritzloch, weil von Fischern gefangene Haie und Rochen in Panik ihr Maul zusammenpressen und dabei durch das Spritzloch Wasser ausstossen.

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Ein Nagelrochen-Baby erkundet das flache Wasser in der bretonischen Gezeitenzone. Die vielen Algen bieten ihm in den ersten Monaten guten Schutz.

Das Spiraculum liegt auf der Körperoberseite gerade hinter den Augen. Eigentlich ist es eine Art Schnorchel, denn der Rochen saugt durch das Spiraculum frisches Wasser von der Körperoberseite in seine unten liegenden Kiemen. Es hat sogar ein verschliessbares Ventil. Durch die fünf Kiemenspalten wird das Atemwasser gegen den Boden hin ausgestossen. Das Spiraculum ist übrigens auch bei uns mit neuer Funktion noch vorhanden: Die Eustachi’sche Röhre – Taucher kennen die gut – verbindet den Rachen mit dem Mittelohr. Und sorgt für den so wichtigen Druckausgleich bei tauchenden Menschen. Zum Glück haben’s die Rochen mal erfunden!

Das Spiraculum liegt auf der Körperoberseite gerade hinter den Augen. Eigentlich ist es eine Art Schnorchel.

Nixentäschchen

Die meisten Rochen sind lebendgebärend und bringen jeweils ein paar Junge aufs Mal zur Welt. Die Nagelrochen jedoch legen Eier auf den Meeresgrund. Die Eier sind vergleichsweise riesig und in hornige Hüllen «verpackt», sogenannte Nixentäschchen. Nach mehreren Monaten – je nach Temperatur kann das neun Monate oder länger dauern – schlüpfen die fixfertig entwickelten Jungen aus ihren robusten, aber flexiblen Eikapseln.

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Die Eikapsel eines Nagelrochens.

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Ein Nagelrochen-Baby erkundet das flache Wasser in der bretonischen Gezeitenzone. Die vielen Algen bieten ihm in den ersten Monaten guten Schutz.

Haben Rochen einen elektrischen Sinn?

Mais bien sûr! Rochen und Haie teilen sich die Knorpelfischverwandtschaft. Und Knorpelfische haben ausgezeichnete Sinnesorgane. Sie haben nicht nur Augen, Ohren und Nasen so wie wir, hinzu kommen noch Sinnesorgane um Druckschwankungen wahrzunehmen, um elektrische Felder zu messen und um Temperaturunterschiede zu spüren. Sogar die Navigation im Meer mithilfe von Magnetismus-Sensoren beherrschen sie.

Die Lorenzini-Ampullen im Kopf sind für vielerlei gut: Sie erspüren feinste elektrische Spannungsdifferenzen, wie sie beispielsweise von den Muskelbewegungen eines Beutetiers abgestrahlt werden. So können Rochen Spannungsdifferenzen von ±10 Nano-Volt erkennen. Eingegrabene kleine Fische sind so als Beute locker zu orten, auch wenn der Rochen sie mit dem Auge nicht zu sehen kriegt.

Die Lorenzini-Ampullen sind auch ein sehr feines Thermometer, das Unterschiede von 0,2°C wahrnehmen kann.

Ausserdem sind die Lorenzinischen Ampullen für die Orientierung am Erdmagnetfeld wichtig. Haie und Rochen finden sich auf dem gesamten Globus zurecht, denn sie können ihre Position laufend bestimmen, wenn sie magnetische Feldlinien durchschwimmen.

Die Lorenzini Ampullen sind mit dem blossen Auge als dunkle Porenöffnungen am Kopf sichtbar. Sie liegen in und unter der Haut eingebettet als längliche, gelatinöse Röhrchen.

Beschrieben wurden die Ampullen-Organe bereits 1678 durch den florentiner Arzt und Naturforscher Stefano Lorenzini.


Thomas Jermann
Thomas Jermann
Ich bin Meeresbiologe und Fotograf. Ich biete private Strand-Führungen in der Bretagne, sowie Vorträge zu ausgewählten biologischen Themen an - für Deinen Verein, Deine Firma oder als Teil einer Veranstaltung.

1 Kommentar

Liebe Grüße, Josef Haas
Liebe Grüße, Josef Haas
Lieber Tomas,
Ich finde das breite Wissen betr. "Meeresbiologie" sowie die äusserst interessanten Informationen grossartig. Vor allem bin ich beeindruckt bezüglich den Lebensbedingungen einer anscheinend grossen Vielfallt von Bewohner der Meere erstaunlich und sehr spannend.

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